Provokation ist gut! – Lars von Trier: Ein Sadist zu Gast im Babylon

Anlässlich der Lars von Trier-Retrospektive lud das Babylon am vergangenen Samstag zu einer Podiumsdiskussion mit dem umstrittenen dänischen Regisseur. Bei ausverkauftem Haus wartete das Publikum gespannt darauf, ob von Trier auch in Berlin seinem legendären Ruf als Provokateur gerecht werden würde. Eins vorneweg: er wurde es!

Lars von Trier im Babylon / BerlinVerschmitzt und beinahe schüchtern betrat von Trier die Bühne. Und das soll nun der große Provokateur sein? Der Skandalregisseur? Ein bisschen Radau wollte das Publikum im voll besetzten Babylon schon erleben. Vielleicht würde ja sogar wieder ein handfester Skandal herausspringen. Moderator und Babylon-Chef Timothy Grossmann, Kurator Friedemann Beyer und Filmkritiker Hanns-Georg Rodek stellten sich jedenfalls der Herausforderung, von Trier zu seinem Schaffen zu befragen.

Zum Filmemachen kam der junge Lars durch eine Super-8-Kamera seiner Mutter. Dabei interessierte ihn mehr die Filmtechnik als das, was er filmte. Umso erstaunlicher wirkt es, dass von Triers Filme so außergewöhnliche, beeidruckende und verstörende Stoffe behandeln. Provokation war und ist dabei eines der Leitmotive von Triers. Sei es im Verhältnis zu seiner Mutter, auf der Filmhochschule oder in seinem filmischen Schaffen.

Wir alle sind Nazis
Aus dem Publikum auf seine Aussage bei den Filmfestspielen in Cannes, er sei ein Nazi, angesprochen reagierte von Trier relativ gelassen und setzte sogar noch einen drauf. Die Geschichte zeige, dass wir alle in gewisser Weise Nazis wären. Da man dies jedoch nicht ergründen wolle, mache man daraus aber einfach ein Tabu. Und da ist von Trier natürlich wieder zur Stelle, um anzuecken. Eine Persona non grata zu sein – diesen „Titel“ hatten ihm die Veranstalter in Cannes verliehen – ist für den Dänen keine Bestrafung, vielmehr sieht er darin eine Auszeichnung. Es passt ganz einfach zu seinem Selbstverständnis.

Provokation als Programm
Auch nach der Veranstaltung bleibt der Däne in vielerlei Hinsicht ein Rätsel. Mal nachdenklich, charmant und witzig, dann plötzlich rüde, derb und knallhart, wenn ihm eine Fragestellung nicht konkret genug erscheint. Spricht von Trier über andere Menschen – von seiner Mutter bis hin zu Richard Wagner – bezeichnet er sie auch gerne mal als Schlampe, Bastard oder Arschloch. Der ein oder andere Nazi-Vergleich bleibt auch nicht aus. Es ist schwer zu sagen, wie viel seiner Provokation Attitüde, Methode oder einfach Charakter ist. Alles ist verpackt in schwarzem Humor mit einer Prise Selbstanklage. Ohne Umschweife gibt der dänische Regisseur zu, Sadist zu sein. Er sei außerdem verkappter Kommunist, der auf der anderen Seite aber auch nichts gegen mehr Geld oder große Autos einzuwenden habe. Er fühle sich schuldig und beschämt, gibt von Trier weiter an, da er bei den Dreharbeiten zu seinem aktuellen Film „Melancholia“ so viel Spaß gehabt habe. Schließlich hat von Trier am Dogma 95-Manifest mitgewirkt – einem seiner vielen Manifeste – um aus der Beliebigkeit des Films herauszubrechen und sich das Filmemachen selbst schwer zu machen.

© Christian-Geisnaes

Das Ende des Kinos?
Hinsichtlich der Zukunft des Films hat von Trier recht eigene, aber gar nicht mal so abwegige Vorstellungen. So könnte seiner Ansicht nach das klassische 2-Stunden-Kinoformat durch Filme mit einer Länge von 80 Stunden abgelöst werden. Der Zuschauer geht dafür natürlich nicht mehr ins Kino, sondern sieht sich die Filme über das Internet an; Stück für Stück wie man es beim Bücherlesen macht. Er selbst arbeitet gerade an seinem neuen Projekt „Nymphomaniac“. Zu Recherchezwecken befasst er sich hierfür momentan stark mit der weiblichen Sexualität, was er, wie er unverblühmt preisgibt, mit großer Freude tue. Für die Zukunft träumt von Trier davon, irgendwann einmal einen richtigen „Messy-Film“ zu drehen: lang, langweilig und voller unnötiger Informationen soll dieser sein. Die nächste Provokation scheint also vorprogrammiert.

Wer sich ein genaueres Bild von seinen bisherigen Werken machen möchte, hat hierzu noch bis zum 24. September 2011 im Rahmen der Retrospektive im Babylon Zeit. Das vollständige Programm findet sich auf www.babylonberlin.de.

Martin Schlereth

 

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