Udo Lindenberg sucht die Liebe HINTERM HORIZONT – Start des Musicals in Berlin

Gibt es das Mädchen aus Ost-Berlin aus dem gleichnamigen Lindenberg-Song wirklich? Dieser Frage geht das neue Musical HINTERM HORIZONT im Theater am Potsdamer Platz nach. Zwischen Lipsi-Schritt, Stasi-Spitzeln und Republikflucht entspinnt sich eine „East-West-Side-Story“ mit den Liedern des Mannes mit dem Hut und der Sonnenbrille.

© Tine Acke

Im Fernsehen ist das Doku-Drama, die Kombination von gespielten Szenen und Originalmaterial, bereits seit langem bekannt. Auf den Musicalbühnen hingegen wurde derartiges bislang eher selten gesehen.  Auf der Pressekonferenz vor der Weltpremiere des Musicals HINTERM HORIZONT gaben Regisseur Ulrich Waller und Panik-Rocker Udo Lindenberg an, dass sie kein „normales“ Musical mit dem üblichen Kitsch, sondern eine neue Form des Musiktheaters auf die Bühne bringen wollten. Herausgekommen ist ein „Rock-Musical“, welches eine „Fusion“ verschiedener Genres wie Konzert, Theater, Film und Dokumentation darstellt. Lindenberg sieht sich dabei durchaus als Pionier in Sachen deutscher „Kulturidentität“.

Viele der Darsteller kommen vom Theater und machen bei HINTERM HORIZONT ihre erste Musical-Erfahrung. Unter besonderer Beobachtung steht natürlich der Lindenberg-Darsteller Serkan Kaya. Es war zu befürchten, das Stück könnte zu einer Lindenberg-Imitatoren-Show verkommen. Doch auch hier haben die Macher entgegengewirkt. Zwar nuschelt Kaya dem Original nachahmend, doch ließ man ihm genug Raum, den Panik-Rocker mit eigener Coolness und Lässigkeit zu interpretieren. Eine herausragend berührende Darstellung gelingt den beiden Jessys Josephin Busch und Anika Mauer. Josephin Busch, die übrigends wirklich in Pankow lebt, überträgt mit ihrer lebendigen Präsenz den Drang nach Liebe und Freiheit der jungen Jessy auf das Publikum, während Anika Mauer als melancholisch auf Ihr Leben zurückblickende Jessy der Gegenwart die Zuschauer berührt.

Liebe kennt keine Grenzen! Oder doch?

© Brinkhoff/Mögenburg

Das Musical erzählt vor dem Hintergrund der vergangenen knapp 30 Jahre deutsch-deutscher Geschichte eine Romeo und Julia-Story zwischen dem Panik-Rocker Lindenberg aus der BRD und dem FDJ-Mädchen Jessy. Die Suche nach dem Mädchen aus Ost Berlin führt in das Jahr 1983 zurück, als sich die beiden beim Konzert Lindenbergs im Palast der Republik kennen und lieben lernen. Doch schon allzu bald wird klar, dass ihre Liebe kaum eine Chance hat. Der Klassenfeind Herr Lindenberg ruft mit seinem provozierenden Auftritt die Staatssicherheit auf den Plan. Keine guten Vorzeichen für das Paar. Nach einigen Jahren treffen sich die Liebenden aus verschiedenen Welten in Moskau wieder. Allerdings bleibt ihnen nur eine kurze Nacht, bevor sie sich erneut trennen müssen. Ihre Liebe und der Traum von Freiheit sind der Staassicherheit ein Dorn im Auge. Die „Kontrollettis“ von der Stasi sind ihnen stets dicht auf den Fersen. Der Überwachungsapparat wird lächerlich, aber auch zynisch und rücksichtslos von den Stasibeamten Patschinsky und Krause (Holger Dexne und Ralf Novak) dargestellt. Der von Rainer Brandt begnadet karikierte Minister treibt den Irrsinn des Systems auf die Spitze, wenn er nicht nur mit dem Musiker aus dem kapitalistischen Westen, sondern auch mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß steht.

© Brinkhoff/Mögenburg

Echte Lindenberg-Fans – die wahren „Panikexperten“ – warten natürlich in erster Linie auf Ihre Lieblingsongs. Und davon gibt es in dem Stück jede Menge. Den Machern ist es gelungen, 30 Original-Songs Lindenbergs in die Story einzupassen: von Klassikern wie „Sonderzug nach Pankow“ oder „Ich lieb dich überhaupt nicht mehr“ über das titelgebende „Hinterm Horizont“ bis hin zu Stücken seines aktuellen Albums wie „Wenn du durchhängst“. Obwohl nicht für ein Musical geschrieben, bilden die Lieder nicht nur bloßes Beiwerk. Sie wirken nie aufgesetzt, sondern sind Teil der Handlung und treiben diese auch voran.

Natürlich erzählt das Musical in erster Linie die Liebesgeschichte von Udo und Jessy, doch ist es auch eine Liebesgeschichte zwischen Ost und West, zwischen BRD und DDR. Wenn die Einspielung der Tagesthemen vom 09. November 1989 läuft, und Hajo Friedrichs die Öffnung der Mauer verkündet, brandet im Publikum spontaner Applaus auf. Der emotionale Höhepunkt lässt keinen kalt. Nicht wenige der Zuschauer haben feuchte Augen. Zwar hat Lindenberg nicht alleine die „Schweine-Mauer“ eingerissen, doch hat er sich am Ende doch mit seinem Schlachtruf „Gitarren statt Knarren“ durchgesetzt. Allerdings zeigt sich auch, dass mit dem Ende der Teilung nicht alle Probleme gelöst sind. So wie Ost und West erst langsam wieder zusammenwachsen müssen, so hat die Trennung auch bei Udo und Jessy Spuren hinterlassen.

Keine Panik!

© Tine Acke

HINTERM HORIZONT: ein deutsch-deutsches Märchen, eine Liebesgeschichte, auch eine wahre Geschichte? Wer weiß. In jedem Fall ist es Lindenberg und den anderen Machern des Stücks gelungen, ein humorvolles, berührendes und rockendes Musical auf die Bühne zu bringen. Quasi Unterhalltung und Geschichtsstunde in einem, gewürzt mit einem Soundtrack direkt aus der Panikzentrale. Lindenberg lässt die Zuschauer über 20 Jahre nach dem Mauerfall an der, laut eigener Aussage, schönsten Party seines Lebens teilhaben. Mit etwas Glück kommt am Ende sogar der echte Udo für eine Zugabe auf die Bühne und verteilt Eierlikör.

Das Musical HINTERM HORIZONT läuft mittwochs bis sonntags im Theater am Potsdamer Platz. Ticket-Infos auf www.stage.com

Martin Schlereth

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