Bellevue hat neuen Hausherrn – Linke macht Wulff zum Bundespräsidenten

30 Tage nach dem plötzlichen und unerwarteten Rücktritt Horst Köhlers als Bundespräsident, hat die Bundesrepublik Deutschland wieder ein reguläres Staatsoberhaupt. Mit 625 der insgesamt 1244 Stimmen setzte sich Christian Wulff im 3. Wahlgang gegen seinen Konkurrenten Joachim Gauck durch.

Christian Wulff ist zum 10. Bundespräsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und somit zum Nachfolger des zurückgetretenen Horst Köhlers gewählt worden. Aber es war ein echter Wahlmarathon über drei Wahlgänge nötig, bis ein Sieger verkündet werden konnte. Das ganze dauerte etwa neun Stunden. Letztendlich setzte sich der Kandidat der CDU/CSU und FDP trotz einiger Abweichler und heftiger Diskussionen  im Vorfeld über eine etwaig falsche Kandidatenwahl gegen seinen Mitbewerber Joachim Gauck durch. Die Wahl galt trotz einer klaren Mehrheit der Regierungskoalition in der Bundesversammlung als unsicher. Gauck wurde nicht nur von den Wahlmännern der SPD und Grünen unterstützt, sondern fand auch breite Unterstützung in der Bevölkerung und – was für die Wahl selbst viel wichtiger war – auch Sympathisanten in den Reihen von CDU/CSU und FDP.

Der bisherige Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Christian Wulff konnte im ersten Wahlgang lediglich 600 Stimmen auf sich vereinen, 44 Stimmen weniger als seine Koalition Delegierte in die Bundesversammlung entsendet hat. Gauck hingegen kam auf 499 Stimmen, 37 mehr als das rot-grüne Lager Delegierte zählte. Die nötige absolute Mehrheit lag bei 623 Stimmen. RP-Online sah einen „Hauch von Putsch“ in der Luft liegen. Nicht vergessen möchten wir die Dritte im Bunde, Luc Jochimsen. Die Kandidatin der Linken erhielt 126 Stimmen. Zudem entfielen drei Stimmen auf den Kandidaten der rechtsextremen NPD, Frank Rennicke.

Erneute Twitterattacken
Nach der Twitterpanne bei der letzten Bundespräsidentenwahl mit der vorzeitigen öffentlichen Bekanntgabe des Siegers, kam es auch dieses mal wieder zu Vorfällen im Zusammenhang mit dem Kurznachrichtenportal. Zunächst wurde das Foto eines unausgefüllten Wahlzettels getwittert, dann machte auch noch ein falsches Ergebnis die Runde, nach welchem Christian Wulffs bereits nach dem ersten Wahlgang gewonnen hätte.

Im zweiten Durchgang konnte Wulff sein Ergebnis auf 615 Stimmen steigern, verfehlte die nötige absolute Mehrheit jedoch erneut. Joachim Gauck verlor neun Stimmen und kam auf 490, Luc Jochimsen auf 123 Stimmen. Der NPD-Kandidat erhielt erneut drei Stimmen.

Den Weg ins Schloss Bellevue ebneten dem Unionsmann Wulff ausgerechnet die Wahlfrauen und Wahlmänner der Linken. Nachdem Luc Jochimsen bekannt gegeben hatte,  nicht mehr zum dritten Wahlgang anzutreten, sprach sich die Linksfraktion gegen eine Empfehlung für Gauck aus. Daraufhin enthielt sich ein Großteil der linken Wahlleute ihrer Stimme. Fraktionschef Gregor Gysi sah in Gauck neben Wulff einen zweiten konservativen Kandidaten, der für die Linke nicht wählbar sei. Im dritten Wahlgang reichte schließlich eine einfache Mehrheit zum Sieg. Nach der Absage der Linken war klar, dass Gauck nicht genug Abweichler im schwarz-gelben Lager finden würde. Am Ende erlangte Wulff sogar noch eine knappe absolute Mehrheit von 625 Stimmen, für Gauck votierten 494 Delegierte.

Wahl mit vielen Misstönen
Bereits im Vorfeld der Wahl gab es große Diskussionen um Sinn, Legitimierung und Würde der Bundespräsidentenwahl, da hier nicht das Volk sein Oberhaupt wählen darf, sondern die von CDU/CSU und FDP dominierte Bundesversammlung. Häufig wurde die Zukunft der immer wieder zerstrittenen Regierungskoalition mit der Wahl Christina Wulffs verknüpft. Dieser mehr oder minder offene Koalitionszwang hatte zahlreiche Bürger auf die Straße getrieben, und selbst verdiente Alt-Unionspolitiker, wie der ehemaligen Regierende Bürgermeister von Berlin und Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker sowie der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf setzten sich für eine freie Entscheidung der Delegierten gemäß ihres Gewissens ein.

Bundeskanzlerin Merkel wird den Sieg Wulffs als Zeichen für eine Renaissance der Regierungskoalition deuten. In der Öffentlichkeit hinterlässt das Ergebnis eher Unverständnis und einen faden Beigeschmack, da nicht nur die Mehrheit der Bevölkerung und Teile der Regierungskoalition, sondern womöglich insgeheim auch die Kanzlerin selbst Gauck für den besseren Präsidenten gehalten hätten. Der Vorwurf, Merkel hätte sich durch die Wahl Wulffs lediglich eines unbequemen parteiinternen Rivalen entledigt, bleibt weiterhin im Raum stehen. Die Linke muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht an konstruktiver Politik und Entscheidungsfindung interessiert zu sein. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und Europaabgeordnete der Grünen Werner Schulz sprach von einem „Versagen der Linken“, da diese die große Chance „über seinen SED-Schatten zu springen“ verpasst hätte.

Die Person und der Sieger Christian Wulff gerät an diesem Tag beinahe zur Nebensache. Herzlich willkommen im Amt, Herr Bundespräsident!

Martin Schlereth

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