Arbeitsplatz Ampel

Autofahrer in Berlin brauchen gute Nerven. Wie es sich für eine Großstadt gehört, steht man mehr mit dem Auto, als dass man fährt. Den Rhythmus in diesem Staccato des Stop-and-Go geben die Ampeln vor. Und sobald eine dieser auf Rot schaltet, kommen aus allen Winkeln fleißige Helferlein herangeeilt und bieten ihren Dienst am gestressten Autofahrer an. Doch handelt es sich hier nicht um die gelben Engel, welche scheinbar selbstlos bei Wind und Wetter zu Hilfe eilen, sondern um profane Dienstleister. Ein kurzer Blick zum Fahrer und schon geht’s los: in Windeseile und mit Feuereifer rücken Sie mit ihren Reinigungsutensilien den verschmutzten Windschutzscheiben zu Leibe; egal ob diese es nötig haben oder nicht.

Arbeiten im Rhythmus der Ampelschaltung

Dieser Dienst ist kein Akt purer Nächstenliebe, sondern sollte durchaus mit einer kleinen Aufwandsentschädigung entlohnt werden. Ein bisschen Kleingeld hat doch jeder übrig, aber eigentlich sollte es jedem freistehen, ob er etwas geben will oder nicht. Verweigert man allerdings den erwarteten Obolus für die ungebetene Arbeit, so muss der uneinsichtige Fahrer mit Repressalien rechnen. Die Palette an Sanktionen durch die vermeintlich Geprellten reicht von sympathisch bis feindseelig. Verschmutzen die einen mit herzerweichendem Blick einem die Scheibe, indem sie ein Herz darauf schmieren, so werden andere aggressiv und schimpfen, treten gegen den Wagen oder kleben gleich einen Kaugummi unter die Wischerblätter. Sollen die geizigen Autofahrer doch zusehen, wie sie jetzt ihre Scheiben sauber bekommen.

Der Widerstand wächst

Angesichts der Aufdringlichkeit ist nicht jeder begeistert von dieser Serviceleistung, besonders,da die Scheiben nach der Putzaktion nicht selten jeglichen Durchblick verhindern. Vielmehr formiert sich Widerstand. Jeder hat seine eigene Methode die ungebetenen Saubermänner abzuwehren: energisches Kopfschütteln und Abwinken, was nur selten den gewünschten Erfolg zeigt, Hupattacken, den Motor heftig aufheulen lassen oder gleich langsam anrollen. Wer jeglichen Zweifel aus dem Weg räumen und seine Abneigung deutlich zur Schau tragen will, dem kann eventuell ein kleines Klebebildchen behilflich sein. Auf den im Internet erhältlichen Autoaufklebern prangt unter einem durchgestrichenen Scheibenputzer der Slogan: „mach-ich-lieber-selber“.

Jonglieren statt Wischen

Arbeiten an der Ampel muss aber nicht zwangsläufig mit Schwämmen und schmutzigem Wasser zu tun haben. Dieser Arbeitsplatz lässt auch Platz für Kunst und Kreativität. Mit ein wenig Glück wird man als Autofahrer, während man auf die nächste Grünphase wartet, von Straßenkünstlern unterhalten. Jemand der mit brennenden Bällen jonglierend vor und zwischen den Autos umhertanzt erntet zumeist Aufmerksamkeit, staunende Blicke oder sogar Beifall. Die Kunst schlägt profane Autowäsche. Zumindest solange die Bälle nicht gegen ein Auto prallen und die Künstler bei Grün ihre Bühne wieder verlassen haben.

Martin Schlereth

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