Im Namen des Grooves | Subsonica im SO36 – Interview & Konzert

Es war nicht nur eine Berlin-Premiere, sondern auch das erste Deutschland-Konzert für Subsonica. Am 19.3.2012 spielten die Turiner Elektrorocker im SO36 in Kreuzberg vor vorwiegend italienischem Publikum. Im Interview erzählen uns Subsonica-Sänger Samuel und Gitarrist Max, warum es für sie eher eine Rückkehr war.

Samuel (Subsonica)

Samuel (Subsonica)

„Ich bin 2003 schon einmal mit meinem House-Musikprojekt Motel Connection in Berlin aufgetreten“, erinnert sich Samuel, als wir ihn vor dem Konzert zu einem Interview im SO36 treffen. Tatsächlich fand der Auftritt auf der Berlinale im Jahr 2004 statt – auch Popsänger können sich irren -, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass Samuel sich in Berlin nicht als Fremder fühlt. Ganz im Gegenteil: „Ich kenne die Stadt ganz gut; dieser Teil hier von Berlin [Kreuzberg, A.d.R.] hat mich schon immer fasziniert.“

Auch für Subsonica-Gitarrist Max ist es nicht die erste Berlin-Reise. Mit seiner damaligen Freundin – jetzt Frau – hat er der deutschen Hauptstadt das letzte Mal vor etwa fünf Jahren einen Besuch abgestattet. Damals haben die beiden u.a. das jüdische Museum besucht; diesmal steht moderne Kunst auf dem Programm. Beim Abendessen zwei Tage nach dem Konzert im SO36 zeigt Max mir Fotos, die er in der Berlinischen Galerie gemacht hat, wo zurzeit eine Ausstellung von Jürgen Mayer H. mit dem Thema „Experimentelle Raumstrukturen“ läuft. „An Berlin mag ich, dass es so weitläufig ist. Man fühlt sich nirgends eingeengt“, erzählt er unbefangen, „und die Clubszene ist natürlich nach wie vor faszinierend – auch wenn man immer wieder hört, dass sie im Wandel begriffen ist und leider auch einige gute Clubs schließen mussten. Das ist aber in Turin nicht anders, und es gehört wohl einfach dazu. Für jeden Club, der schließt, macht woanders ein neuer auf.“

Samuel im Interview

Samuel im Interview

Samuel zögert auf die Frage hin, ob es eine bestimmte Location in der deutschen Hauptstadt gibt, die er in besonderer Erinnerung behalten hat. „Im Berghain war ich noch nicht, nein, eigentlich sind es mehr die Events im Allgemeinen als beispielsweise irgendein spezieller Club, die mich faszinieren.“ Er erinnert sich noch lebhaft an verschiedene Partys, auf denen DJs aufgelegt haben, die damals einen völlig eigenen, neuen Sound hatten, „Leute wie Villalobos“, fügt er hinzu.

Genau diese DJs sind es auch, die Subsonica von Anfang an in ihrem Schaffensprozess beeinflusst haben. „Unsere Musik ist in ihrer rhythmischen und melodischen Grundstruktur sehr italienisch“, erklärt Samuel, „aber sie gründet auf einem universalen Prinzip – nämlich dem Tanz, der Bewegung – genau das ist unser Trumpf.“ Und genau das machten sich Subsonica zunutze, als sie ihre Setlist zusammenstellten und eigens für die anstehende Tour im Ausland konzipierten. „Wenn man einen Schlagzeugrhythmus hört, den jeder kennt, dann ist es egal, ob dazu jemand auf Italienisch, Englisch oder Deutsch singt, dann fängt man einfach an zu tanzen. Deshalb ist unsere Setlist – bis auf das erste Stück, das ein bisschen spiritueller wirkt – sehr rhythmisch“, und so ist es dann auch.

Boosta & Vicio (Subsonica)

Boosta & Vicio (Subsonica)

Der Einstieg wirkt mit „Come se“ (Dt.: So als ob) tatsächlich etwas spirituell, handelt es sich hierbei doch um einen politisch motivierten Song, den die Band zur GE2001-Compilation, einem CD-Sampler, dessen Erlös an die Opfer und zu Unrecht Angeklagten im Prozess um den G8-Gipfel in Genua im Jahr 2001 ging, beigesteuert hat.

Nach diesem aufwühlenden Start gibt’s aber sofort auf die Zwölf: Mit „Veleno“ (Dt.: Gift) und „Aurora sogna“ (Dt.: Aurora träumt) verwandeln Subsonica das SO36 in eine wummernde Techno-Hütte. Ihr Konzept geht auf: Die Menge lässt sich von dem frenetisch über die Bühne wirbelnden Samuel anstecken und tanzt ausgelassen im Takt der harten Techno-Bässe mit. Das etwas psychedelischere, aber dennoch hochrhythmische „Depre“ (Dt.: Depri) fügt dem Sound der Turiner noch eine zusätzliche südländische Komponente hinzu, und schließlich stellt Samuel mitten in „Il Diluvio“ (Dt.: Die Flut), der dritten Single vom aktuellen Album „Eden“, den Kontakt zum Publikum auch sprachlich her, indem er die anwesenden Konzertgäste bittet, sich auf den Boden zu hocken, bis er mit „Salta!“ das Zeichen zum gemeinsamen Hochspringen gibt.

Sitzendes Publikum

Sitzendes Publikum

Ob Italiener oder Deutsche – diese Sprache verstehen alle, und so wird im SO36 gemeinsam zu Dance-Klassikern wie „Piombo“ (Dt.: Blei) und „Colpo di pistola“ (Dt.: Schallende Ohrfeige) gesungen und getanzt. So viel Leidenschaft, so viele Emotionen – doch der Zenit ist noch längst nicht erreicht. Mit einer bewegenden Ansage wendet sich Samuel vor dem etwas ruhigeren Lied „Istrice“ (der zweiten Single vom aktuellen Album „Eden“, Dt. Übersetzung: „Stachelschwein“) an seine italienischen Landsleute, die sich für ein Leben fern der Heimat entschieden haben. Ihnen widmen Subsonica das nostalgisch anmutende Lied, in dem – in Anlehnung an die Stachelschwein-Parabel von Arthur Schopenhauer – eine gescheiterte Liebesbeziehung zwischen zwei Turinern beschrieben wird, in der sich der Erzähler schließlich fragt, was wohl aus der verlorenen Geliebten geworden ist und wer sich jetzt, wo er nicht mehr für sie da sein kann, ihrer annimmt.

Max (Subsonica)

Max (Subsonica)

Auch danach bleibt es nostalgisch, denn die Lieder „Istantanee“ (Dt.: Augenblicke) und „Onde Quadre“ (Dt.: Quadratische Wellen) vom allerersten Subsonica-Album wecken Erinnerungen an die Anfänge der Band. 1996 in Turin gegründet, in einer Zeit, in der sich Popmusik stark zum Elektronischen hin veränderte, waren Subsonica eine der ersten Bands in Italien, die sich auf das Experiment einließen und munter alle möglichen traditionellen Musikgenres vermischten, erfrischten und ihre Grenzen verwischten, indem sie ihren Liedern eine eigenwillig elektronische Note verpassten. Auf dem Konzert im SO36 gipfelt die Nostalgie schließlich in einer Hymne der Selbstironie – dem absurd-euphorischen „Benzina ogoshi“, bei dem die Fünf auf der Bühne sichtlich Spaß haben und Energiebündel Samuel noch einmal Vollgas gibt, bevor es in eine kurze Pause geht.

Boosta & Samuel (Subsonica)

Boosta & Samuel (Subsonica)

Gut erholt betritt die Band keine zehn Minuten später erneut die Bühne und gibt mit „Disco labirinto“ (Dt.: Labyrinth-Diskothek) einen weiteren Dance-Klassiker zum Besten. Es folgen die housiger angehauchten Songs „Nuvole rapide“ (Dt.: Schnell vorbeiziehende Wolken) und „Il Centro della fiamma“ (Dt.: Der Mittelpunkt der Flamme); dann nimmt Subsonica-Gitarrist Max das Mikro in die Hand. „Den nächsten Song – ‚Nuova ossessione‘ – möchten wir unserer Freundin Veronika widmen.“ Neben dem Mischpult stockt einer überraschten Wahl-Berlinerin der Atem. Sie hat vor sechseinhalb Jahren die Webseite Subsonica.de ins Leben gerufen, um auch deutschen Subsonica-Fans eine geeignete Informations- und Kommunikationsplattform bieten zu können. Und auch wenn das Portal inzwischen etwas in die Jahre gekommen und ein neuer Anstrich längst überfällig ist, bedankt sich Max für die jahrelange Unterstützung. Bei einem gemeinsamen Abendessen zwei Tage später in einem kleinen Restaurant im Prenzlauer Berg überlegen die beiden unter anderem, wie sie es den deutschen Fans ermöglichen können, sich alle Subsonica-Videos ohne Einschränkungen durch die GEMA ansehen zu können. Es sind kleine Gesten wie diese, die Subsonica trotz ihres Riesenerfolgs in ihrem Heimatland Italien auch andernorts so sympathisch wirken lassen. Sie zeigen Zuhörern wie Zuschauern: Ihr seid uns wichtig – jeder einzelne von euch. Das bekommen die Besucher des SO36 auch bei der Zugabe zu spüren. Obwohl Subsonica nach den letzten Mitgrölhymnen – u.a. „Up Patriots To Arms“, einem dreisprachigen Franco-Battiato-Cover und der brandneuen Subsonica-Single, „Radioestensioni“ und „Tutti i miei sbagli“ (Dt.: Alle meine Fehler) völlig durchgeschwitzt sind, lassen sie sich schließlich noch einmal für eine Zugabe auf die Bühne bitten.

Subsonica

Subsonica

„Ende gut, alles gut“, begrüßt Samuel die euphorische Menge und kündigt zwei letzte Songs an. Da Subsonica ihre Setlist an diesem Abend schon komplett ausgeschöpft haben, müssen „Aurora sogna“ und „Depre“ noch einmal herhalten, auch wenn sie heute schon einmal gespielt wurden. Die Zuschauer stört das nicht im Geringsten. Was zählt, ist der Groove, und den haben Subsonica und ihre Fans an diesem Montagabend im SO36 in Berlin sowieso für sich gepachtet. „Wir pflegen einen sehr engen Kontakt zu unserem Publikum“, bestätigt Samuel uns vor dem Konzert, „es ist sozusagen unser sechstes Band-Mitglied.“

Ninja, Vicio & Samuel (Subsonica)

Ninja, Vicio & Samuel (Subsonica)

Einige sind an diesem Tag sogar extra aus Turin angereist. Die Verbindung „Torino – Berlino“ besteht aber nicht nur am 19. März und auch „nicht nur aus der Endung -ino“, wie Samuel in unserem Interview scherzhaft bemerkt. Tatsächlich glaubt er, dass es auch „die Liebe zur elektronischen Musik“ ist, die beide Städte vereint, und „sogar im Modebereich gibt es enge Verbindungen. Viele junge Designer aus Turin haben gemeinsam mit Berliner Designern Kollektionen entworfen oder Geschäfte in beiden Städten eröffnet.“ Das 2005 gegründete Label „born in berlin“ ist nur ein Beispiel dafür. Wer sich die flippigen Klamotten der Designerinnen Judith Hohnschopp und Julia Ariane Buttkewitz einmal näher ansehen möchte, dem sei ihr Laden in der Pappelallee 9 (Nähe U Eberswalder Str.) empfohlen.

Diesen Tipp gebe ich auch Subsonica-Gitarrist Max, als er mich am Tag nach dem Konzert nach geeigneten Shopping-Möglichkeiten im Prenzlauer Berg fragt; und so schließt sich der Turin-Berlin-Kreis ein weiteres – und bestimmt nicht letztes – Mal.

Veronika Streit

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